Wie Extremwetterereignisse entstehen und wirken
Starkregen, Hitze, Trockenheit: Das Wetter wird zu Russischem Roulette, der Klimawandel ist in unseren Breiten nun sichtbar angekommen – Mensch und Tierwelt leiden, besonders unter akuten lokalen Ereignissen. Wie entwickeln sich Extremwetterereignisse? Dieser gerade höchst aktuellen Frage gehen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) in einem neuen internationalen Forschungsvorhaben nach. Im Rahmen des Projekts „ClImate INTelligence: Extreme Events Detection, Attribution and Adaptation Design using Machine Learning“ (CLINT) untersuchen sie Extremwetterereignisse, deren Erkennung, Ursachen und Entwicklungsmechanismen. Die EU fördert das Vorhaben über die European Climate, Infrastructure and Environment Executive Agency (CINEA) mit insgesamt rund sechs Millionen Euro, davon entfallen auf die JLU rund 440.000 Euro. Das Projekt ist im Juli gestartet und läuft vier Jahre.
Im Fokus stehen simultane Extremwetterereignisse, sogenannte „Concurrent Extremes“. Bei diesen Ereignissen handelt es sich um eine Kombination von mindestens zwei Extremwetterereignissen, die sich innerhalb eines bestimmten Zeitintervalls gegenseitig beeinflussen – beispielsweise Hitze plus Trockenheit, Starkregen plus Wärme. Ein weiterer Schwerpunkt wird die Untersuchung von sogenannten „Compound Events“ sein. Dabei nehmen die Forscherinnen und Forscher die zu den Extremereignissen gehörigen – und potenziell ebenfalls extremen – Begleiterscheinungen in den Blick. „Ein Beispiel hierfür ist der Hitzesommer in Europa im Jahr 2018, bei dem sich die sehr hohen Temperaturen mit einer seit Februar herrschenden Trockenheit, Waldbränden und den damit verbundenen großen agrarwirtschaftlichen sowie forstwirtschaftlichen Schäden überlagerten“, so Dr. Elena Xoplaki, Institut für Geographie und Zentrum für internationale Entwicklungs- und Umweltforschung (ZEU), die seitens der JLU als verantwortliche Wissenschaftlerin an CLINT beteiligt ist. „Dadurch verstärkte sich das eigentlich betrachtete Extremereignis, die Hitzewelle, weiter hinsichtlich des Schadens für die Umwelt und die Sozioökonomie.“
Für die Betrachtung der aus Extremwettereignissen resultierenden Schäden untersuchen Forscherinnen und Forscher der JLU und verschiedener weiterer Institutionen den Einfluss dieser Extremereignisse auf Systeme der Versorgung mit Wasser, Energie und Nahrung in Europa (Water-Energy-Food Nexus, WEF Nexus). Hierfür werden die derzeit existierenden Klimasysteme mit künstlicher Intelligenz weiterentwickelt, um die Vorhersage von Extremwettereignissen und die damit verbundenen Auswirkungen besser vorhersagen bzw. einschätzen zu können. „Unser Ziel ist es, die komplexen und dynamischen Interaktionen der Sektoren Wasser, Energie und Nahrung besser verstehen zu können, um so ein besser koordiniertes Management und eine optimierte Nutzung der natürlichen Ressourcen über die verschiedenen Sektoren zu ermöglichen sowie die Vorhersagesysteme zu optimieren“, so Dr. Xoplaki. Sie leitet die Weiterentwicklung von Klimadienstleistungen mittels künstlicher Intelligenz für den Lebensmittelsektor des WEF Nexus innerhalb Europas.
Beteiligt ist die JLU zudem an der physikalischen Evaluierung der entwickelten Methoden. Laut Dr. Xoplaki ist dies unabdingbar, da zwar mittels statistischer Methoden häufig ein Zusammenhang diverser klimatologischer Phänomene berechnet werden kann, dieser jedoch nicht zwingend einen physikalischen Mechanismus dieser Ereignisse impliziert. Durch die physikalische Evaluierung sollen potenzielle physikalische Antriebsmechanismen hinter den Extremereignissen besser verstanden werden, um zukünftige Entwicklungen dieser Extremereignisse genauer einschätzen zu können.
Das Projekt CLINT umfasst auch eine Fallstudie der Wasserversorgung am Comer See (Lombardei, Italien), der für viele agrarwirtschaftliche Unternehmen bzw. für die umliegende Wasserversorgung von zentralem Interesse ist. Auch an dieser Studie ist die JLU unter der Federführung von Dr. Xoplaki beteiligt. Da die Region wegen der zunehmenden Intensität und der Anzahl von Hitzewellen ein Hotspot für die Klimafolgenforschung ist, kann eine verbesserte Vorhersage von Extremereignissen mittels der in CLINT entwickelten Methoden zu einer besser ausbalancierten landwirtschaftlichen Wasserversorgung, einer erhöhten Hochwasserrisikokontrolle und weiteren vorteilhaften Verwendungen von Wassernutzungssystemen in dieser Region beitragen.
Das internationale und interdisziplinäre CLINT-Konsortium umfasst elf Forschungseinrichtungen, drei kleinere und mittlere sowie ein internationales Unternehmen. Die Federführung liegt beim Polytechnikum Mailand (Italien).
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Quelle: Justus-Liebig-Universität / Foto: A.Hirczy / Postinfo: peli