HundKatzeGraus: Wieviel Mensch verträgt ein Tier?
Dass sich Menschen und ihre Haustiere manchmal fast schon erschreckend ähnlich sind, ist wohl hinreichend bekannt. In vielen Fällen gilt das sogar auch für das Äußere.
Vor allem aber ist es immer wieder spannend, vom Verhalten des Menschen auf das Verhalten seines Vierbeiners zu schließen. Insbesondere natürlich bei Hundebesitzern.
Ein äußerst einprägsames Beispiel für die Ähnlichkeit von Hund und Herr lieferten Frau Richter und ihr Rauhaardackel Lulu. Als ich Lulu kennenlernte, war sie erst ein paar Monate alt und, soweit ich das beurteilen konnte, ein ganz normaler Hund.
Neugierig inspizierte sie das Wartezimmer, rollte sich dann neben Frauchens Stuhl auf dem Boden zusammen und harrte der Dinge, die da kamen.
Sie erhielt alle notwendigen Impfungen und entwickelte sich gut, so dass wir sie lange Zeit nicht mehr zu Gesicht bekamen. Beim nächsten Besuch war der Dackel erwachsen – und völlig verändert. Von dem Moment an, in dem Frau Richter die Praxis betrat, glich das Wartezimmer einem Katastrophengebiet. Lautstark und in der ihr eigenen, seltsam hohen Stimmlage redete sie ununterbrochen auf ihren Hund und die wartenden Besitzer ein. Lulu bellte fast ebenso ununterbrochen – und nervte zusätzlich durch ihre ebenfalls unnatürlich hohe Tonlage.
An der langen Laufleine rannte sie wie ein Wirbelwind zwischen den Stühlen hin und her und hatte in kürzester Zeit die gesamte Inneneinrichtung zu einem einzigen Knoten verbunden. Als sie feststellte, dass sich dadurch auch ihre eigene Bewegungsfreiheit auf ein Minimum reduziert hatte, stimmte sie augenblicklich ein panisches, ohrenbetäubendes Gekreische an. Was Frauchen dazu veranlasste, ebenfalls noch lauter zu werden – schließlich wollte sie in all dem Lärm nicht überhört werden. „Luuuluuu!“, quietschte sie. „Was machst du denn nur? Warum bist du denn so ungezogen? Schau mal, was du angerichtet hast!
Luuuluuu! Jetzt warte doch mal! Sei doch mal still! Sei doch nicht so unruhig!“ Seit ihrem überfallartigen Eintreffen hatte ich, völlig perplex, untätig das Chaos verfolgt, das innerhalb von Sekunden ausgebrochen war.
Endlich hatte ich die erste Verwirrung überwunden und unterbrach Frau Richters hektischen Wortschwall.
„Mensch, Lulu“, sagte ich ruhig und machte die Leine los, um die eingewickelten, verstört wirkenden Wartenden zu befreien, „schalt mal ‘nen Gang runter. So schlimm wird’s nicht werden!“ Lulu sah mich überrascht an und schien sich leicht zu entspannen. Bis die Besitzerin sich genötigt sah, mit ihrem pädagogisch wertvollen Verhalten in die Situation einzugreifen.
„Luuuluuu!“, quiekte sie laut. „Das habe ich dir doch schon so oft gesagt! Du sollst nicht immer so unruhig sein! Was soll das denn? Du machst mich ganz nervös! Luuuluuu! Leg dich jetzt hin! Platz! Platz! Bleib! Platz! Luuuluuu! Frauchen ist jetzt ganz böse! Jetzt sei doch nicht so aufgeregt! Luuuluuu!“ Beinahe grob hob sie den Dackel hoch und drückte ihm einen dicken Schmatzer auf die Nase. Überschwänglich presste sie ihren Liebling an sich und erstickte ihn fast in ihrem üppigen Dekolletee. Lulu strampelte hysterisch, bis sie unter ausgiebigen Liebesbekundungen endlich wieder auf den Boden gesetzt wurde. Fassungslos beobachtete ich Frau Richter und ihren Hund, der jetzt wieder gellend kläffte und wie ein aufgescheuchtes Huhn auf und ab lief. Es war so laut, dass man seine eigenen Gedanken nicht hören konnte. Die anderen Hunde hatten sich hinter ihren Besitzern verkrochen. Die Katzen starben in ihren Transportboxen tausend Tode.
Hilfesuchend starrten mich die übrigen Kunden an. Wieder mischte ich mich ein. „Sie können gerne noch etwas draußen warten, wenn Lulu sich da wohler fühlt“, schlug ich Frau Richter vor. „Nein danke, das geht schon!“, antwortete sie und rührte sich nicht von der Stelle. Auf diplomatischem Wege kam ich hier also nicht weiter. Lulu bellte durch die Gitterstäbe eines Katzenkorbs ein Kaninchen an, das japsend um sein Leben zitterte. Frauchen versuchte weiter, die Sache auszudiskutieren und machte ihrem Dackel schlimme Vorwürfe. Auf die Idee, ihn von dem armen Häschen wegzuholen, kam sie nicht. „Könnten Sie die Leine dann bitte etwas kürzer machen?“, bat ich. „Die anderen Tiere haben Angst.“ Frau Richter folgte meiner Bitte. Lulu ließ sich davon nicht stören und machte sich weiter auf, um jede Ecke der Praxis zu erkunden.
Durch die nun kurze Leine eng aneinander gefesselt, folgte Frauchen ihr dicht auf den Fersen. Enttäuscht beobachtete ich das Resultat. Lulu rannte noch immer wie wild durchs Wartezimmer und verbreitete lautstark Panik. Die Frau im Schlepptau sorgte für noch mehr Lärm und noch mehr Panik. Nicht gerade das Ergebnis, das ich mir erhofft hatte. Da half nur noch die Evakuierung.
„Kommen Sie ruhig schon durch, Frau Richter“, sagte ich und führte das Terror-Gespann in einen freien Behandlungsraum. Ich schloss die Tür hinter den beiden und ging zurück ins Wartezimmer. Traumatisiert starrten die menschlichen und tierischen Anwesenden vor sich hin und genossen die himmlische, fast unnatürliche Ruhe.
In den folgenden Wochen sahen wir Lulu häufiger. Sie war in eine Scherbe getreten und musste eine Weile regelmäßig zum Verbandswechsel kommen. Jeder einzelne Besuch war eine echte Geduldsprobe für alle Beteiligten. Auch Hund und Frauchen waren jedes Mal völlig erschöpft, wenn sie endlich fertig waren. Schließlich klagte Frau Richter mir ihr Leid über ihren hektischen, aus unerklärlichen Gründen ständig nervösen Hund.
Wie der Herr, so das Gescherr – oder:
Wie viel Mensch verträgt ein Tier?
Leseprobe aus dem Buch:
HundKatzeGraus
Geschichten aus der Tierarztpraxis
Heitere Episoden aus einem nicht ganz alltäglichen Berufsalltag
Von Bettina Peters, mit Illustrationen von Nicolas Kierse
Um €12,95 überall im Buchhandel oder online bei der Autorin oder im Tierschutzshop zur Unterstützung von Tierschutzprojekten
Taschenbuch, 152 Seiten, 33 Kapitel
ISBN 978-3-8423-8037-0
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